Der Igel kam dann jede Nacht – Astrid Rissmann konnte es morgens auf den Bildern sehen, die ihre Nachtsichtkamera aufgezeichnet hatte. Nach kurzer Zeit stand Hope schon in der Abenddämmerung senkrecht auf den Hinterbeinen, den Bauch an das Gitter gedrückt, und versuchte, hochzuklettern und aus dem Gehege zu kommen. Es war schließlich nicht mehr mit anzusehen: Sie war ja eigentlich gesund, wog gut 900 g und hatte eine unglaubliche Sehnsucht nach der Freiheit und nach ihrem Verehrer. Astrid und ich, die ich das Tier zuvor ein halbes Jahr gesund gepflegt hatte, berieten uns kurz und fassten den Entschluss, Hope in die Freiheit zu entlassen. Das Freigehege wurde also an einer Seite geöffnet, Schlafhaus, Futter und Wasser wurde weiterhin bereitgestellt – Hope spazierte in die Freiheit und ward nicht mehr gesehen.
Am Sonntag, den 22. März 2020 erhielt Astrid einen Anruf aus ihrer Nachbarschaft: Drei Häuser weiter komme seit einer Woche ein kleiner Igel jeden Abend und würde mit Katzenfutter bewirtet werden. Aber nun solle es ja nochmal Minusgrade geben, und das Tier sei doch arg klein. Ob Astrid es vielleicht einfangen und im Warmen etwas päppeln könnte. (Es hatte sich längst, wie früher oder später bei jeder privaten Igelpflegerin, im Wohnviertel herumgesprochen, dass bei Astrid eine Igelpflegestelle eingerichtet ist.)
Sie ging also los, um den Igel zu fangen, und wusste auf den allerersten Blick: Hope ist wieder da! Die kurze Schnauze, der weiße Markierungspunkt auf dem Hinterteil… aber sie war nur noch Haut und Knochen: 427 g! Offenbar hat sie sich draußen ganz allein doch nicht ausreichend ernähren können – sowohl wegen des allgemeinen Insektenschwundes als auch im Besonderen, weil Hope außer dem Loch auf dem Nasenrücken eine besonders kleine, verkürzte Schnauze als Spätfolge des Unfalls zurückbehalten hat. Damit waren größere Käfer vielleicht nicht zu erjagen und Schneckenhäuser nicht aufzubeißen.
Sicher im Freigehege
Hope war nun längere Zeit im warmen Pflegeraum und wurde verwöhnt. Nach kurzer Eingewöhnungszeit fraß sie wieder ausgiebig und nahm wieder zu. Und das Schönste: Das Loch auf dem Nasenrücken hat sich nicht mehr entzündet! Wir haben sofort beschlossen, dass Hope nun endgültig nicht mehr ausgewildert wird. Sollte diesen Sommer ihr Verehrer wiederkommen, kann er ihr ja vielleicht ein paar Nächte im Freigehege Gesellschaft leisten und dafür sorgen, dass sie dann bis in den Herbst hinein mit den Folgen einer Liebesnacht zu tun hat.